Auch wenn ich mich für einen kaum erreichbaren Meister in
der Kunst halte, mich von den schalen Schalen der Dinge ebenso wenig irritieren
zu lassen wie vom täuschungsorientierten Gehabe plumper Blender , sondern tiefschürfende und treffsichere Blicke auf das Wesen
der Dinge werfe… - so gibt es doch
auch ab und zu andere, denen durchaus geglückte Analysen gelingen.
Anläßlich der Entscheidung der Berliner (am 25. Mai 2014) zur Verschonung des Geländes des alten
Flughafens Tempelhof vor allerhand
„Randbebauung“ gefielen sich weite Teile rechercheunlustiger und klischeegeiler
Presseorgane in erneutem Aufwärmen
eigener Weisheiten aus dem Schublädchen
Was wir schon IMMER
über die Berliner wussten
Für mich sehr wohltuend hiervon abgehoben hat sich ein Kommentar
von
Brigitte Fehrle in der Berliner Zeitung vom 27. Mai 2014.
Ohne aufgeblasenes Wortgeklingel (wie meins zB), schlicht und
treffend.
Hier der Nämliche ungekürzt, wie in der BZ abbjedruckt –
ich habe ihm allerdings etwas mehr Absätze gegönnt als die BZ und ein paar
Fotos von Michael Rabenstein eingefügt
(geschossen am 17.12.2012) :
Die Sehnsucht nach dem weiten Feld
Selten wurde eine politische Entscheidung so
eindeutig getroffen wie die über die Zukunft des Tempelhofer Feldes. Mehr als
65 % sind im Durchschnitt gegen die Bebauung. In allen Stadtteilen gab es eine
Mehrheit für das freie Feld. Die Berlinerinnen und Berliner sind sich einig. In
völlig unterschiedlichen Stadtteilen wie Spandau, Friedrichshain, Zehlendorf
oder Hellersdorf haben sie Ja gesagt zur
Bürgerinitiative und Nein zum Senat.
Aber warum? Kaum denkbar, dass alle die selben
Motive für ihre Entscheidung haben. Es scheint ehr so, als hätten sich die
Menschen aus ganz unterschiedlichen Gründen auf dasselbe Ziel zubewegt.
Wagen wir also eine kleine Typologie der Befürworter
des freien Feldes.
Da sind die
Entschleuniger, Menschen, die abends ich re Freunde anrufen und dann mit
einer Flasche Prosecco und einer Decke auf dem Feld den Sonnenuntergang
geniessen.
Oder die modernen
Kleingärtner, Leute, die Zäune nicht mögen und trotzdem eine kleine Scholle
mögen, um ihre eigenen Salatköpfe ernten zu können.
Oder die Freizeitaktivisten : Radler,
Kitesurfer, Langläufer, Jogger, denen andere Flächen der Stadt nicht genug
Herausforderungen bieten.
Und dann sind da noch die Gemütlichen: Familien, denen Picknick im Grünen ohne allzu
viele Menschen heilig ist und die keine Lust haben, dafür an den Stadtrand zu
fahren.
Und dann
gibt’s auch diejenigen, die nie auf dem Feld waren, dort auch nie hin
wollen, denen das Feld eigentlich völlig egal ist und die dennoch Nein zur
Bebauung gesagt haben. Das sind die
Politischen, Leute, die jede Gelegenheit wahrnehmen, um den etablierten
Apparat zu stören.
Oder die
Kritischen. Das sind Bürger, denen die Politik der Berliner
Regierenden nicht gefällt und jetzt eine
Gelegenheit gesehen haben, das zu zeigen.
Die womöglich mit Abstand größte Gruppe, die am
Sonntag Ja gesagt hat zu 100 Prozent Tempelhof sind die Nachdenklichen. Die haben sich gesagt: Eine Fläche wie das
Tempelhofer Feld ist ein Jahrhundertgeschenk. Damit wir das Bestmögliche tun,
brauchen wir Zeit.
Die politisch Verantwortlichen haben unterschätzt,
was diese freie Fläche in den Köpfen und Herzen der Menschen bewirkt. Ihnen ist
nicht klar, wie wichtig für Berlin Orte sind, die einem das Gefühl geben, frei
zu sein. Ohne dieses Gefühl von Freiheit wäre Berlin nicht Berlin. In der
Mauerstadt wurde die politische Freiheit verteidigt. Auf dem Alexanderplatz
wurde sie erkämpft. Heute will sie erlebt werden. Auf Brachflächen, in wilden
oder weniger wilden Clubs, im toleranten Zusammenleben von Milieus, Religionen
und Lebensstilen. Aber eben auch beim Picknick auf der endlosen Weite des
Flugfeldes. Freiheit ist die Währung dieser Stadt. Ohne Freiheit wäre Berlin
eine banale Großstadt. Aber Berlin ist ein Sehnsuchtsort. Sehnsuchtsorte kann
man nicht planen, sie sind nicht machbar. Sie entstehen da, wo Menschen sie
suchen und finden.
Schaut man auf das Tempelhofer Feld, verblassen die
guten Argumente derer, die Wohnungen bauen wollen.
Es geht aber auch ganz anders. Nüchtern, banal,
brutal. Wer Misstrauen gegen den Senat und seine guten Absichten hat, findet
viele Argumente. Braucht man die Flächen am Tempelhofer Feld für preiswerten
Wohnungsneubau? Nein. Wo hat der Senat in den vergangenen zehn Jahren glaubhaft
bewiesen, dass er in der Lage ist, Wohnungspolitik für Mieter zu machen? Schwer
zu sagen. Warum hat der Senat über so lange Zeit seine Flächen meistbietend an
Investoren verkauft, statt Genossenschaften oder landeseigene
Wohnungsbaugesellschaften bauen zu lassen? Weil er sich als arm und sexy
bezeichnet hat, dabei aber nur arm und phantasielos war. Wieso verkauft der
Bund seine Grundstücke immer noch zu Höchstpreisen, statt sie in Erbpacht für
Mietwohnungen zur Verfügung zu stellen? Das ist ohne Worte!
Statt bürokratische Monstergesetze wie die
Mietpreisbremse zu beschließen, um die Auswirkungen einer Politik zu begrenzen,
die man selbst quasi durch Bodenspekulation verursacht, könnte man einfach
handeln, also preiswert bauen (lassen).
Das Tempelhofer Feld aber braucht mehr. Dor muss es
um Ideen für das 22. Jahrhundert gehen. Die Tempelhofer Freiheit gibt uns die
einmalige Chance, die Stadt der Zukunft zu entwerfen. Wohnen, arbeiten, leben –
wie könnte das aussehen? Wenn wir das wissen, wenn wir dafür die Berlinerinnen
und Berliner begeistert haben, dann wird
sich keiner mehr daran erinnern, dass wir einst die Brache verteidigen mussten,
um den Ausverkauf eines Traums zu verhindern.
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