WILD WIE BILD - GSCHEIT WIE ZEIT

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Mittwoch, 26. Januar 2011

M i r e o

Mireo Glockenstraße 4. 91054 Erlangen Es gibt was Neu´s und das ist per se schon mal gut. Das alte Glockencafé ist nach dem Verkauf des Hauses von den früheren Besitzern des „Moravia“ (das jetzt unter Anja Jüngling wieder neu erblüht ist) übernommen worden. Der umfangreiche Umbau offenbart, wie groß das alte Haus des ewigen Meckerers Wienhard war(der inzwischen Erlangen verlassen hat). Das Cafe im Erdgeschoss hat die alten Raumstrukturen wohl beibehalten, die Balken der Decke sind weißlich-grau gebeizt, zeigen also beste Erlanger Uraltbausubstanz. Im alten Hauptraum stützt eine schwarze Metallsäule den frisch eingezogenen Balken. Die Räumlichkeiten sind dem Alter entsprechend vielfach verwinkelt, das Fachwerk bleibt sichtbar – im Innenhof sorgt eine große Fensterfläche für viel Licht. Die Einrichtung ist schön, karg, schnörkellos – wären nicht einige Details, wäre es fast perfekt. Dunkelbraune Stühle, beige, elefantenhautartig anmutende Sitzflächen. Keine Kritik am Design. Als notorischer Zeitungsleser hätte ich für meine altersbedingt abschlaffenden Arme natürlich gerne die Wahl auch zu einem Stuhl mit Armlehne, aber da bin ich sicher wieder mal alleine damit. Es gibt die übliche Zeitschriftenauswahl, EN und SZ oder sonstige Tageszeitungen habe ich leider nicht gesehen. Aus meiner Sicht: weniger wäre da mehr gewesen. Die Auswahl, die das Manhattan mit Mare und Cicero bietet, finde ich besser. Für Neugierige wie mich sind die bis zum Boden reichenden Fenster zur Glockenstrasse hin natürlich ein Knüller. Wer einen Sitzplatz mit Blick auf die Strasse erwischt, kann sich die Zeitung sparen. Die weißen, mit ebenso schnörkellos hell-modernen Lampen versehenen Wände, sind derzeit mit schlichten, schönen Schwarz-weiss Photographien im schwarzen Rahmen mit Passepartout behängt. Auch dies ein kräftiger Gewinn gegenüber den häufig schief hängenden, oft schaurigen Pseudo-Künstler-Bildern im alten Moravia, an deren Verschwinden man sich nur mit einem wohligen Schauer erfreuen kann. Inzwischen hängen andere Bilder eines Erlanger Künstlers. Die kleinen quadratischen Holztische werden von Gläsern mit Bliemorchen geziert – fast schon Standard, macht es aber nicht schlechter. Im Hintergrund lief dezente, leicht angejazzte, unaufdringlich-eingängige, aber nicht ins Triviale abdriftende Musik – auch o.k. Kinder haben ein kleines Tischchen, an dem sie sich austoben können: weiterer Pluspunkt. Der Café… d a s Dauerthema allüberall. Beginnen wir mit dem Positiven: der Blick auf die Kaffeemaschine zeigt immerhin mal keine milchschaumverkrustete Dampflanze. Vielmehr liegt ein Lappen daneben, mit dem sie ständig gewischt wird – 20 Punkte von 100. Den Café kennt man schon aus dem Moravia – Meinl hat das Zeug zum guten Café – wenn, ja w e n n man die Qualität auch in die Tasse bringt: 40 Punkte von 100. Ein Tamper existiert (wie ich höre "noch" )nicht, es bleibt bei 40. Die Maschine eine la Cimbali, das wollen wir durchgehen lassen: 60 von 100. Vorgemahlen wird nur in begrenztem Umfang – auch o.k. Den Rest muss ich verschieben, da ich dazu an der Bar sitzen müsste. Die Tassen von Meinl – halbwegs dickwandig(zum Glück also keine unglücklichen, dysfunktionalen Experimente à la Manhattan), klassische Form…nun ja: die Griffe „griffgünstig“ verschlungen… Dazu fällt mir am ehesten ein Uralt-Witzchen ein: „Schatz, wie gefällt Die mein neuer Hut?“ „Er wirkt etwas aufgesetzt“ Würde mal die Prognose wagen: Kikifax, den keiner braucht. Wird sich ebenso tot laufen wie die Cafétassen mit der asymmetrisch liegenden Mulde für die Tasse. Eine Mode, die von Italien aus in einige Cafés geschwappt war, aber eben nur eine Modeerscheinung war: an sich ja nicht unpraktisch, weil mehr Platz für den Löffel ist, aber doch letztlich nichts, was die Caféwelt revolutionieren kann. Der Cappuccino. Ich war ja wirklich glücklich…E n d l i c h mal nicht diese saudumme Frage „einen großen oder einen kleinen…?“ Es gibt nur einen Cappuccino und das einzige, was der braucht, ist die Gewissheit seiner selbst ...er ist kein Milchcafé und kein Cortado, er ist Cappuccino und sonst nichts. Danke, Mireo. Eine Erlanger klein-Revolution an der richtigen Stelle: nicht mal in der Karte steht das nicht-existierende Etwas drin. Danke. [Noch unklar: habe neulich eine große Ätztasse gesehen…das alte Motto „all you can eat“ – der große Gastroschwachsinn scheint auch hier zurückgekehrt. Essen wird nicht dadurch besser, dass man sich fürs gleiche Geld möglichst viel hineinschaufeln kann] Und der Preis: mit 2,10 durchaus unter Erlanger Level : Dank N° 2 und sehr Bedienungenfreundlich. Wäre ich der Bedienungsgewerkschaftssekretär: Dank N° 3. Das soll aber Kritik nicht verhindern: Milchschaum des Cappuccino: das alte Lied, das alte Leid: keiner kann es (außer der Chefin, die arbeitet aber nur selten an der Cafémaschine), keiner will es lernen. Was sonst herauskommt, ist das übliche, großblasige, binnen kurzem zusammenfallende Zeug – Bauschaum. Freund, Qualitätsfetischist, Koch und Barista Dieter Hancke (www.artebarista.de) kam am 26.1.11 herein, warf einen kurzen Blick in meine Tasse und sagte nur „Bauschaum“. Kinder – lernt das Milchschäumen in Gottes Namen.Es ist doch nicht so schwer, D a s hat das Café nicht verdient. Eins muß man aber deutlich hervorheben: die Chefetage hat ein Ohr für den Ruf nach Qualität – überall sonst in Erlangen stößt man ja auf Reaktionen zwischen Desinteresse und Schulterzucken. Zu mir als notorischem Kritikaster hat sich kürzlich spät abends Chef Thorsten hingesetzt, ein Stündchen mit mir über Qualität im allgemeinen und im Besonderen philosophiert und später – nach 24 Uhr…! - noch Details an der Cafemaschine erklärt. Und nach einer Messe kam er erneut um mitzuteilen, was er dort noch gelernt habe. Hut ab. Viele haben ja noch nicht verstanden, dass das Geld aus dem Portemonnaie des Gastes und nicht von der Sparkasse kommt. Die Internetseite (www.mireo-erlangen.de) zeugt gleichfalls von Engagement. Fortsetzung der Einrichtungskritik: die Stehtische im Eingangsbereich – sicher eine gute Idee –Motto: „für jeden (ausser meine armen Zeitungsarme!) was!“. Die Stützen der Tische sind mit…hüstel…zwei Streifen von falschem Pseudoholzfurnier beklebt (keine Ahnung – man nagle mich nicht aufs „Kleben“ fest). Sie finden zwar ihre Fortsetzung in entsprechenden Streifen unterhalb der strassenseitigen Fenster – das mag schon durchdacht sein, ist aber ästhetisch-materialtechnisch dennoch ein Grauen, zumal an der Stelle, wo dieses Furnierzeugs auf die altehrwürdigen Balken stößt. D a s haben sie nicht verdient. Lob für die Toiletten – die grau-schwarzen Steinchen als Belag, die Armaturen – das ist alles ästhetisch aus e i n e m Guß. Die schwachsinnigen Schwingtüren am Männerklo –die nur nach innen schwingen und dem Cowboy auf dem entleerten Rückweg den Weg versperren sind einem Hirnfurz der Erlanger Stadterwaltung geschuldet – Mireo ist unschuldig. Die Bedienungen sind unterschiedlich – unauffällig (oft etwas s e h r), freundliche dienstbare Geister. Kein Anlass für Orgien von Kritik oder Lob. Nix einzuwenden jedenfalls. Doch – ein Positives: sie kommen n i c h t alle 7 ½ Minuten vorbei - wie an so vielen anderen schrecklichen Orten – und fragen „Ist bei Ihnen noch alles in Ordnung!??“ Ich habe auch schon (m) eine Lieblingsbedienung, die bei äusserlicher Unauffälligkeit durch überzeugend souveräne und doch bescheiden-lockere Coolness glänzt. Sie allein würde selbst dann noch einen Besuch lohnenswert machen, wenn sie sich mal wieder die Nacht für das Schauen der Australian Open um die Ohren geschlagen hat. Das Essen habe ich noch nicht getestet – wenn sie die Qualität aus dem . . . Piiiieeep ! . . . mitgenommen haben, kann man meist nicht meckern – ich weiß nicht, w i e oft ich da schon den Putenbrustsalat gegessen hatte. Also: für mich eine grosse Freude und momentan klarer Favorit unter den Erlanger Cafés.