WILD WIE BILD - GSCHEIT WIE ZEIT

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Donnerstag, 20. Dezember 2007

Singen Sie selbst oder haben Sie eine Playback-Card ?

Auf fahrende Züge aufzuspringen versucht ja heute jeder Trottel: wenn nur irgendwas auch nur andeutungsweise en vogue zu sein scheint, versuchen x Leute, das zu ihrem Geschäft zu machen: die Stapel in den Buchhandlungen quellen über vor schlechten Kochbüchern (aber schön bunt), miesen Pseudohumorbüchern, Wellnesskacke, Schilaufbüchern für Leute, die keine Schier (aber Stöcke) haben- ein Sammelsurium des Grauens.
Sehr beliebt auch Leute, die 2 Augen und einen Lektor haben und meinen, das Produkt dieser beiden Super-Skills unter die Leute bringen zu müssen. Motto : ich bin zwar nicht Schopenhauer, aber ein paar weltbewegende aphoristische Betrachtungen bringe ich allemal zamm.
Ich befürchtete anfangs, ich wäre mit dem Kauf von Martin Hecht, Deutsche Unsitten (Eichborn Verlag, ca.12,50 €) auch so einer Tour aufgesessen. Doch ich wurde eines Besseren belehrt - die Quelle der Empfehlung (Dieter Hess, Bayerischer Rundfunk) scheint etwas zu taugen.
Hecht hat nicht nur seine Augen weit schweifen lassen und dabei viel gesehen, er hat es auch nicht versäumt, immer wieder hinter die Fassaden zu sehen bzw. hinter dem scheinbar besonderen die allgemeine Ursache in Gestalt der Wesensmerkmale des Deutschseins oder deutschtümelns zu sichten und auf den Punkt zu bringen.
Vielfach fällt eine gewisse Anlehung an Eckhard Henscheids "Dummdeutsch" auf, allerdings posaunt Hecht etwas weniger lautstark als Henscheid, seine Wertungen kommen sanfter (aber nicht weniger treffend) dahergeschlichen und haben nicht dessen etwas egofixierte Hybris . U n d er verfällt zum Glück nicht den klebrigen Ausläufern des Comedy-Pseudohumors - einer Falle, die hier verschärft am Wegesrand gehuflatticht hätte.
Auch als Objekt ist es ein nettes Buch und Weihnachtsgeschenk - alphabetisch untergliedert nach Stichworten (Eingebildete Bildung, Draussen nur Kännchen, Gereimte Hinweisschilder in Wandergebieten, Küsschen zur Begrüßung, Wunderbaum), bei einem neuen Anfangsbuchstaben jeweils mit schwarzem Kartonpapiereinschub unterteilt. Und natürlich unserem "keine Zeit!!" entgegenkommend durch kurze Häppchen.
Natürlich ist es letztens für die paar wenigen Charakterstabilen im Lande auch eine Freude zu sehen, dass es noch Menschen gibt, die die BILDzeitung für einen amoralischen Schandfleck halten.
Wer das Hymermobil noch nicht kannte oder nicht wußte, dass und warum deutsches Hymern anders ist als französiches, der erfährt es jetzt:
" `Wir sind auf niemanden angewiesen´ - das ist die weltablehnende Ideologie des nach Autarkie strebenden Deutschen, der sich entschieden hat, zum Hymermobilisten zu werden. Der Deutsche fährt zwar gerne in die Fremde, tritt dort aber allen mit dem Anfangsverdacht entgegen, sie wollten ihn übers Ohr hauen (s.Abzocke). Die Welt ausserhalb des Heimatorts besteht nur aus staatlich lizensierten Wegelagerern, darum lieber in kein Hotel, kein Restaurant - ja keine Feindberührung. Wir machen alles selber. Hymermobil-Urlaub hat etwas Beleidigtes, Misstrauisches. Das Fahrzeug: eine Strandburg (s.dort) auf Rädern"
Ja, und so geht er uns auf Zahn und Wecker und man muß manchmal feststellen, dass man sich bei dem einen oder anderen Mist, den man so gemacht hat, etwas mehr hätte denken können sollen müssen.
Und ich werde mir für meine fußkalte Wohnung trotzdem Birkenstöcker kaufen, denn der Deutsche ist zu allem Unglück ja auch noch unbelehrbar.

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