WILD WIE BILD - GSCHEIT WIE ZEIT

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Freitag, 8. Februar 2008

Fette Justizbeule

Justiz ist teuer und der Staat hat kein Geld. Deshalb wurde vor ein paar Jahren das Prozessrecht ein bisschen reformiert. Dafür finden sich immer eingängige Worthülsen, die dem Ganzen einen bürgerfreundlichen Anstrich geben. Damals war das die "Stärkung der Amtsgerichte" - sie waren zwar vorher keineswegs schwach, vielmehr klagten Richter am Amtsgericht über steigende Eingangszahlen und hohe Arbeitsbelastung. Diese "Stärkung"sah so aus, dass die Berufungsinstanz quasi abgeschafft wurde: bisher hatte in der Berufung in Zivilsachen der am Amtsgericht verhandelte Fall in vollem Umfang neu aufgerollt werden können, mit neuer Zeugenvernehmung und allem, was der Zivilprozess an Erkenntnismöglichkeiten bietet. Dies war in vielen Fällen auch bitter nötig. Mit der Reform ist die Berufungsinstanz der Revision angeglichen worden, eine Überprüfung amtsgerichtlicher Urteile durch die Landgerichte ist nur noch möglich,
"wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern" (§ 511 IV ZPO)
Zwar meint jeder arme Bürger seinen Casus immer sehr ernst, aber im schummrigen Licht dieser Vorschriften ist er kaum je "grundsätzlich" oder rechtsfortbildend.
Im Einzelfall konnte einem also folgendes passieren: ein wackerer Mittelfranke bestellt bei einem Steinmetz einen Grabstein und will dann an einem kalten Wintertag auf entsprechende Vorankündigung das Werk des Steinmetzen besichtigen. Er wird an der Rezeption von einem Mitarbeiter der Firma in Empfang genommen und in den hinteren Teil des Betriebsgeländes geführt. Unter dem etwa 5 cm hoch liegenden Schnee hatte sich eine Plastikfolie tückisch versteckt, der Franke stürzt und seine Hüfte erweist sich als wesentlich weicher als die steinerne Wegeinfassung, auf die er fällt. Eine fette, faustgroße Beule (Hämatom), die später sogar operiert werden muß, ist die Folge.
Die Versicherung des Steinmetzen sagt, was Versicherungen in solchen Fällen sagen: Wir zahlen nicht (Rechtslage angeblich unklar)-das spart Geld und der Bebeulte mag sehen, wo er bleibt.
Am Amtsgericht Neustadt an der Aisch erwartet den schmerzhaft Gestürzten ein Richter, der ein bekannter Strafrechtler ist und sich in Zivilsachen schon einen gewissen Ruf für seine bisweilen sehr bemerkenswerten Ansichten geschaffen hat.
So hält er es auch hier: der vom Angestellten begleitete Marsch über das Betriebsgelände sei so etwas ähnliches wie das Betreten eines Kaufhauses bei Matsch und Schnee-da könne man auch nicht einfach hinfallen und dann Schmerzensgeld wollen.
Mit der schönen neuen Zivilprozesswelt wäre es das dann gewesen: "grundsätzliche Bedeutung"? Pustekuchen. "Fortbildung des Rechts"? Desgleichen: das ist alles schon Schnee von gestern.
Das Landgericht nahm die Berufung dennoch an, brauchte für die anberaumte mündliche Verhandlung nicht einmal neue Erkenntnisquellen. Es wies vielmehr auf etwas hin, was jeder halbwegs intuitive Jurist hier gedacht hätte: der Steinmetz hatte nicht nur von sich aus das Betriebsgelände für den Kunden geöffnet(er war nicht einfach unerkannt dort rumgelatscht), hatte also diesem gegenüber eine Verkehrssicherungspflicht - hätte also räumen und/oder streuen müssen. Darüber hinaus hatte ihn zusätzlich aufgrund des bestehenden Vertrags eine Pflicht zum Schutz der Rechtsgüter des Kunden getroffen - er haftete also ohne jeden Zweifel. Im konkreten Fall hätte nur der Kunde etwas mehr aufpassen müssen - 25 % Mitverschulden musste er sich von seinem Schmerzensgeldanspruch abziehen lassen. Aber es verblieben ihm immerhin etwa 2.000,- €.
Die Frage ist, warum einige Kammern des Landgerichtes Nürnberg Berufungen völlig ungerührt von der neuen Rechtslage behandelten. Sehr bürgerfreundlich, aber eben eigentlich klar gesetzwidrig.
Ein befreundeter Kollege war sich über die Richtigkeit seiner Ansicht sicher: die Justizreform sollte auch Richterstellen einsparen. Richter, die die von ihnen erwartete "Schnellerledigung" von Berufungen als unzulässig gesetzestreu umsetzten, sägten somit an ihrem eigenen Stuhl. Deshalb sollen viele wackere, gewerkschaftlich Organisierte es wie geschildert gehandhabt haben.
Dies betrifft im übrigen ein Thema, bei dem die Justiz eine sehr offene Flanke hat: das "Menscheln" im Getriebe des vermeintlich so objektiven Rechts.

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