(der Berg des Grauens-von Ebersbach zum Wasserturm, km
11-12 des Sonntagslaufs)
Unser Sonntagsläufchen ist wie das Bier in der
Stammkneipe: man muss da nichts extra ´vereinbaren´. Wenn man es nicht abbestellt, kommt es.
Seine Teilnehmer scheinen das volle Mafiaprogramm im
Laufdress zu repräsentieren: „Ärzte, Rechtsanwälte, Autotandler…“
Aber natürlich erfüllen wir drei dieses Klischee
überhaupt nicht, denn wie sind hochgradig: „anständig, kritisch, vernünftig,
werteorientiert, umweltbewusst, empathisch“ and so on. Und natürlich echte
Gutmenschen-SO gut und klug, dass wir sogar unser eigenes G´tum noch kritisch
hinterfragen. Solche Menschen kennen
und dann sterben…
Unsere Biographien sind etwas auseinander gedriftet,
sodass unsere mobile Philosophietruppe kaum Gefahr läuft, zu einer gänzlich
betriebsblinden Selbstvergewisserungs- und Selbstbefriedigungsveranstaltung
zu werden:
E. hat es früher zu wild getrieben - eine
Herzmuskelentzündung erlaubt ihm gerade noch, uns mit dem Rad zu begleiten. Wir
beiden anderen haben Zipperleins, die wir derzeit als „beherrschbar“ einstufen.
Die Selbstmedikation führt allenfalls zu einer Dosis „mal ´n neuen Schuh
kaufen!“ oder die Voltaren - Tablette danach.
Der entscheidende Riß geht aber durch die
Berufskarriere. Arzt und Tandler sind „drin“, ich bin „raus“ aus dem
Hamsterrad. Ich habe Zeit und wenig Geld, die anderen das Gegenteil.
Autotandler K. hat sich vorletztes Weihnachten für
geschätzte 4 500,- € eine Rolex gekauft (er schätzt - wie ich auch - Designklassiker).
So ist seine Omega Speedmaster (ca. 2 800,- €) nicht mehr so allein.
Für meine Max Bill (Junghans, Handaufzug;
Sonderangebot 2007, 330,- €),

habe ich vor fünf Jahren bei Rechtsanwaltens die
Wohnung gemalert. Bei Menschen und Freunden, mit denen zusammen ich studiert
habe.
Arzt E. war in diesem Jahr mit dem durchaus gelungenen Töchterchen je eine Woche in New
York und Barcelona, damit es ihr mal nicht an der nötigen Weltläufigkeit
gebrechen möge.
K. entspannt vom ätzenden Autogeschäft gerne mal
eine Woche in Thailand am Strand.
Über beispielsweise die Frage, ob und wie man die eigenen,
prall gefüllten „ökologischen Rucksäcke“ je wieder wird leeren können,
diskutiert man ehr in gepflegter Runde oder mit der ZEIT auf den Knien – die
dann zugleich so nette Anregungen gibt, wo man noch in weit entfernten Weltgegenden Eingeborene mit der
Anwesenheit europäischer „Gut“ menschen beglücken könnte.
Auch nach
dem Laufen teilen sich unsere Strecken. Ich
werde sehr gemütlich unter der blauen Fleecedecke auf dem Sofa liegen - umgeben von bestem Café und Bergen noch nicht
gelesener „Süddeutscher“. Ich könnte es aber auch
anders machen.
Freund K. mit der Rolex kann es nicht. Er muss nach der Martinsgans bei seiner
Mutter zu einem „EVENT“: sein Autohersteller stellt ein neues Modell vor, das
die Welt so dringend braucht. Er wird sich wohl in einen Anzug mit Schlips
schmeißen müssen, zwanzig Kilometer zum
Showroom fahren, Hände schütteln, dämliche Reden anhören, perfekte powerpoint-Präsentationen
ansehen müssen (und sich wohl auch denken: „Herr, laß´ Abend werden !“).
Nach dem Sofa werde ich mir am Vorabend einen Film
im Kino gönnen: „Love it or leave it“, bei dem zwei junge Männer durch das Italien Berlusconis reisen und die Frage eruieren, ob sie Rom oder Berlin als künftigen Wohnort wählen sollen.
Unser Dottore hat mir beim Laufen erzählt, er sei
seit 20 Jahren nicht mehr im Kino gewesen: „Keine Zeit“.
Beneide ich den Zustand der beiden anderen? Manchmal
ja. Oft und ehr meistenteils aber: nicht. Ich freue mich, die Zeit zu haben,
mir in der Fränkischen Schweiz den besten Apfelbaum auszusuchen, mir von
einsamen und ehrsamen Walnussbäumen zwei Rucksäcke voller Nüsse holen zu können.
Umwelttechnisch auch nix, weil mit dem Motorrad.
Zwar mag ich mir jede Ausgabe von Geld lang
überlegen müssen, aber zwei Vorteile hat das:
·
über
meine Zeit entscheide ich selbst, nicht andere. Und:
·
Konsum
schöner und eigentlich zu teurer, aber dauerhaft erfreuender Dinge oder Genuss
weiter entfernter Gegenden werden zu etwas sehr Besonderem, das man wie jedes
knappe Gut deutlich mehr genießt
Und natürlich kann ich mir vorheucheln, dass diese
Lage – die ich ja so nicht eigentlich gewollt habe – mich zu einem noch
besseren
und umweltbewußteren Gutmenschen macht als meine zwei Freunde.
An diesem
Sonntag hatte der Dottore extra eine Plastiktüte dabei: er wollte eine Krause
Glucke
(sparassis
crispa, „ein ausgezeichneter und ergiebiger Speisepilz“, sagt der
BLV Naturführer, S. 24)
endlich mitnehmen, die er am vergangenen Sonntag an
einem Baumstumpf gesehen hatte. Die Tüte mit dem Pilzschwamm hing dann an
meinem Rad – der Dottore war schon vorausgeradelt.
Er hatte mir vorher auf Frage glaubhaft versichert,
dass wir keine alten Rechungen zu begleichen hätten. Als ich voller
Grundvertrauen zu Hause zur Tat schritt, war mir das dann doch ein bisschen
viel Natur: aus des Sparassies Tiefen schauten mich diverse Ohrenhöhler und
Kleinspinnen angsterfüllt und fragend an.
Sie alle wegzuspülen und das dreckige, brüchige
Pilzgewaber zu einer schmackhaften Mahlzeit zu verarbeiten…wenig
aussichtsreich. Ab in den Müll.
Wieder nix mit „natürlichem Leben“.
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