WILD WIE BILD - GSCHEIT WIE ZEIT

_____________________________________________

Sonntag, 11. November 2012

Geld, Macht und geile Schlitten

(der Berg des Grauens-von Ebersbach zum Wasserturm, km
11-12 des Sonntagslaufs)


Unser Sonntagsläufchen ist wie das Bier in der Stammkneipe: man muss da nichts extra ´vereinbaren´. Wenn man es nicht abbestellt, kommt es.
Seine Teilnehmer scheinen das volle Mafiaprogramm im Laufdress zu repräsentieren: „Ärzte, Rechtsanwälte, Autotandler…“
Aber natürlich erfüllen wir drei dieses Klischee überhaupt nicht, denn wie sind hochgradig: „anständig, kritisch, vernünftig, werteorientiert, umweltbewusst, empathisch“ and so on. Und natürlich echte Gutmenschen-SO gut und klug, dass wir sogar unser eigenes G´tum noch kritisch hinterfragen. Solche Menschen kennen und dann sterben…

Unsere Biographien sind etwas auseinander gedriftet, sodass unsere mobile Philosophietruppe kaum Gefahr läuft, zu einer gänzlich betriebsblinden Selbstvergewisserungs- und  Selbstbefriedigungsveranstaltung zu werden:

E. hat es früher zu wild getrieben - eine Herzmuskelentzündung erlaubt ihm gerade noch, uns mit dem Rad zu begleiten. Wir beiden anderen haben Zipperleins, die wir derzeit als „beherrschbar“ einstufen. Die Selbstmedikation führt allenfalls zu einer Dosis „mal ´n neuen Schuh kaufen!“ oder die Voltaren - Tablette danach.
Der entscheidende Riß geht aber durch die Berufskarriere. Arzt und Tandler sind „drin“, ich bin „raus“ aus dem Hamsterrad. Ich habe Zeit und wenig Geld, die anderen das Gegenteil.
Autotandler K. hat sich vorletztes Weihnachten für geschätzte 4 500,- € eine Rolex gekauft (er schätzt - wie ich auch - Designklassiker). So ist seine Omega Speedmaster (ca. 2 800,- €) nicht mehr so allein.
Für meine  Max Bill (Junghans, Handaufzug; Sonderangebot 2007, 330,- €),

http://ecx.images-amazon.com/images/I/515K0MtiEeL._SL500_AA300_.jpg

habe ich vor fünf Jahren bei Rechtsanwaltens die Wohnung gemalert. Bei Menschen und Freunden, mit denen zusammen ich studiert habe.
Arzt E. war in diesem Jahr mit dem durchaus  gelungenen Töchterchen je eine Woche in New York und Barcelona, damit es ihr mal nicht an der nötigen Weltläufigkeit gebrechen möge.
K. entspannt vom ätzenden Autogeschäft gerne mal eine Woche in Thailand am Strand.
Über beispielsweise die Frage, ob und wie man die eigenen, prall gefüllten „ökologischen Rucksäcke“ je wieder wird leeren können, diskutiert man ehr in gepflegter Runde oder mit der ZEIT auf den Knien – die dann zugleich so nette Anregungen gibt, wo man noch in weit entfernten Weltgegenden Eingeborene mit der Anwesenheit europäischer „Gut“ menschen beglücken könnte.
Auch nach dem Laufen teilen sich unsere Strecken. Ich werde sehr gemütlich unter der blauen Fleecedecke auf dem Sofa liegen -  umgeben von bestem Café und Bergen noch nicht gelesener „Süddeutscher“. Ich könnte es aber auch anders machen.
Freund K. mit der Rolex kann es nicht. Er muss nach der Martinsgans bei seiner Mutter zu einem „EVENT“: sein Autohersteller stellt ein neues Modell vor, das die Welt so dringend braucht. Er wird sich wohl in einen Anzug mit Schlips schmeißen müssen,  zwanzig Kilometer zum Showroom fahren, Hände schütteln, dämliche Reden anhören, perfekte powerpoint-Präsentationen ansehen müssen (und sich wohl auch denken: „Herr, laß´ Abend werden !“).
Nach dem Sofa werde ich mir am Vorabend einen Film im Kino gönnen: „Love it or leave it“, bei dem zwei junge Männer durch das Italien Berlusconis reisen und die Frage eruieren, ob sie  Rom oder Berlin als künftigen Wohnort wählen sollen.
Unser Dottore hat mir beim Laufen erzählt, er sei seit 20 Jahren nicht mehr im Kino gewesen: „Keine Zeit“.
Beneide ich den Zustand der beiden anderen? Manchmal ja. Oft und ehr meistenteils aber: nicht. Ich freue mich, die Zeit zu haben, mir in der Fränkischen Schweiz den besten Apfelbaum auszusuchen, mir von einsamen und ehrsamen Walnussbäumen zwei Rucksäcke voller Nüsse holen zu können. Umwelttechnisch auch nix, weil mit dem Motorrad.
Zwar mag ich mir jede Ausgabe von Geld lang überlegen müssen, aber zwei Vorteile hat das:

·        über meine Zeit entscheide ich selbst, nicht andere. Und:
·        Konsum schöner und eigentlich zu teurer, aber dauerhaft erfreuender Dinge oder Genuss weiter entfernter Gegenden werden zu etwas sehr Besonderem, das man wie jedes knappe Gut deutlich mehr genießt

Und natürlich kann ich mir vorheucheln, dass diese Lage – die ich ja so nicht eigentlich gewollt habe – mich zu einem noch besseren und umweltbewußteren Gutmenschen macht als meine zwei Freunde.
An diesem Sonntag hatte der Dottore extra eine Plastiktüte dabei: er wollte eine Krause Glucke

(sparassis crispa, „ein ausgezeichneter und ergiebiger Speisepilz“, sagt der BLV Naturführer, S. 24)

endlich mitnehmen, die er am vergangenen Sonntag an einem Baumstumpf gesehen hatte. Die Tüte mit dem Pilzschwamm hing dann an meinem Rad – der Dottore war schon vorausgeradelt.
Er hatte mir vorher auf Frage glaubhaft versichert, dass wir keine alten Rechungen zu begleichen hätten. Als ich voller Grundvertrauen zu Hause zur Tat schritt, war mir das dann doch ein bisschen viel Natur: aus des Sparassies Tiefen schauten mich diverse Ohrenhöhler und Kleinspinnen angsterfüllt und fragend an.
Sie alle wegzuspülen und das dreckige, brüchige Pilzgewaber zu einer schmackhaften Mahlzeit zu verarbeiten…wenig aussichtsreich. Ab in den Müll.
Wieder nix mit „natürlichem Leben“.

Keine Kommentare: