WILD WIE BILD - GSCHEIT WIE ZEIT

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Samstag, 1. September 2007

Medicus

Wer zu meiner Zeit in München studiert hat, hatte Glück, denn damals gab es Medicus, ja: "den " Medicus .
Wer so als Student umeinanderdilettiert hat, durfte an ihm sehen: So hätte man sich jeden Professor gewünscht: hochgradig kompetent, dezent humorvoll, perfekt strukturierte Vorlesungen, engagiert auch in der Lehre.
Und von nicht erlahmender Tatkraft: von der Beratung der Bundesregierung zum Neuen Schuldrecht bis zu Vorlesungen hierüber noch lange nach Beendigung seiner Uni-Lufbahn - er konnte nicht aufhören.
Seinen Vorlesungen lag immer ein Skript mit Quellenangaben zu Grunde, das er hektographiert verteilte. Wenn er zu seinen berühmten Exkursen ansetzte(z.B. über die zugeeisten Türen der S-Bahn) , begann er diese z. B. bei Unterpunkt gg) und fuhr nach deren Ende völlig selbstverständlich bei Punkt hh) weiter ohne sich je zu verlieren.
Und es gab bei den Juristen sonst k e i n e n Professor, der sich herabgelassen hätte, Klausuren eigenhändig zu beaufsichtigen( d a m a l s haben wir ihn natürlich dafür gehasst, denn wir wollten spicken, wann w i r wollten).
Bestimmte Teile seiner Beispiele wird man nie vergessen, z.B. Warum man rechtskräftige Urteile, die auf "Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft" lauten, n i c h t per Gerichtsvollzieher (sondern durch Androhung und Verhängung von Geldstrafen) vollstrecken muß:
"Wie hätte man sich das denn vorzustellen: Soll der Gerichtsvollzieher dem Ehemann jedesmal beim Frühstück die Zeitung aus der Hand nehmen? Oder soll er gar im Wege der Ersatzvornahme die geistreichen Gespräche mit der Ehefrau s e l b s t führen? Das geht nicht."
In seinem mittlerweile in der 21. (!!) Auflage erschienenen Buch "Bürgerliches Recht. Eine nach Anspruchsgrundlagen geordnete Darstellung zur Examensvorbereitung " Carl Heymanns Verlag - einem hochkonzentrierten Juradicksaft - nur verdünnt und löffelweise einzunehmen - gibt es eine meiner Lieblingsstellen, die ich in jeder Auflage wieder suche.
Zum Verständnis sollte der Nichtjurist folgendes wissen:
Normalerweise soll sich jeder um sein eigenes Zeug kümmern. Der weise BGB-Gesetzgeber hat nun in den etwa 20 Jahren, in denen er am BGB geknobelt hat, gemerkt, dass es auch manchmal anders kommt (z.B.: Herr X merkt, dass der Kirschbaum seines Nachbarn Y während dessen urlaubsbedingter Abwesenheit umgefallen ist und den Bürgersteig blockiert) und hat für die entstehenden Probleme vorgesorgt.
Hier gibts nun ein nettes Beispiel (woran man wieder merken kann, dass die schönsten Geschichten das Leben s e l b s t schreibt), ich zitiere:
"G hört nachts Hilferufe aus einer Ruine. Erfindet dort eine Frau F, auf die der Geisteskranke I mit einem Hammer einschlägt. Bei dem Versuch, der F zu helfen, wird G von I verletzt. G verlangt von H, der für F zuständigen Betriebskrankenkasse, Ersatz seines Verdienstausfalls."
[Medicus, a.a.O., Randnr.425]
Nun schlägt Medicus zu - ganz im Sinne der obigen Hommage:
"H hatte unter anderem eingewandt, ohne das Eingreifen des G wäre F getötet worden, was für sie - H - weit geringere Aufwendungen verursacht hätte. Der BGH (insoweit nur in NJW 1962, 360 abgedruckt) hat diesen Einwand mit Recht als "erstaunlich" bezeichnet. Der Einwand ist auch sachlich unbegründet: Zu den Aufgaben eine Krankenkasse gehört die Krankenpflege, § 182 I Nr. 1 RVO. Sie umfasst die Massnahmen, die nötig sind, um ärztliche Hilfe heranzuholen. Dazu gehörte hier zunächst, daß die F vor weiteren Schlägen bewahrt wurde. Die Erfüllung dieser Pflicht liegt im öffentlichen Interesse; dass H diese Pflicht etwa nicht erfüllen wollte, ist schon nach § 679 unbeachtlich."
Leider hat er in der jüngsten Auflage die Knochentrockenheit seiner Kommentierung des BGH-Einwands ge-/verwässert, indem er eingefügt hat " "man könnte auch unverschämt sagen"...Herr Prof.Dr.Dr.: r a u s damit !
E i n s hätte ich gerne noch genauer gewusst (a.a.O, Randnr. 650 k): Da klagt einer gegen Milupa, weil er sich durch Dauernuckeln die Zähne verdorben hat: hat er genuckelt, bis er prozessfähig war?